Alte Bausparverträge sind für Bausparkassen ein Minusgeschäft. Deshalb kündigen sie diese. Ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart macht es den Kunden leichter, sich zu wehren.

Wer heute einen Bausparvertrag abschließt, muss sich damit abfinden, dass sein Sparguthaben minimal verzinst wird. Die meisten Bausparkassen zahlen zwischen 0,5 und 1,5 Prozent Zinsen. Glück hat der, wer noch einen alten, höher verzinsten Vertrag ergattert hat – könnte man meinen. Doch auch die Alt-Bausparer haben häufig Probleme. Denn für die Kassen sind die in den 1980er und 1990er Jahren abgeschlossenen Hochzinsverträge inzwischen eine Belastung. Grund ist das Niedrigzinsumfeld: Die Kassen sind gezwungen, geringe Darlehenszinsen zu garantieren, müssen jedoch weiterhin hohe Guthaben-Zinsen zahlen. Sie sind deshalb bestrebt, sie zu kündigen und berufen sich dabei häufig auf das Sonderkündigungsrecht zehn Jahren nach Zuteilungsreife des Bauspardarlehens.

Ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart könnte nun Bausparern helfen, denen eine solche Kündigung droht. Ende März hat das Gericht im Berufungsverfahren im Streit um die Kündigung eines alten Vertrages durch die Bausparkasse „Wüstenrot” zugunsten der betroffenen Bausparerin entschieden (Aktenzeichen: 9 U 171/15).

Um was ging es bei dem Fall?

Die Bausparkasse Wüstenrot hatte einer Kundin einen 1978 abgeschlossenen Bausparvertrag gekündigt. Dieser war mir drei Prozent verzinst und bereits seit 1993 zuteilungsreif. Die Frau hatte das mit dem Bauspar-Vertrag verbundene Baudarlehen nie in Anspruch genommen und hatte auch die Zahlung der Sparraten nach 1993 eingestellt. Die Bausparsumme – 20.000 Euro – wurde nicht erreicht. Zum Kündigungszeitpunkt belief sich das Bausparguthaben auf 15.000 Euro.

Die Bausparkasse hatte ihr den Bausparvertrag im Januar 2015 gekündigt. Sie berief sich dabei auf das Sonderkündigungsrecht des Darlehensnehmers. Demnach kann der Darlehensnehmer – und als solcher tritt die Bausparkasse während der Ansparphase eines Bausparvertrags auf – einen Vertrag zehn Jahre nach vollständigem Leistungsempfang kündigen. In der ersten Instanz ging die Strategie der Kasse auf: Das Landgericht Stuttgart gestand der Kasse ihr Sonderkündigungsrecht zu, so wie auch weitere Gerichte, etwa in Celle oder München.

Wie argumentierte das Oberlandesgericht Stuttgart?

Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat das Urteil der ersten Instanz nun im Berufungsverfahren gekippt. Die Richter argumentierten, dass das Sonderkündigungsrecht der Kasse erst greife, wenn das Darlehen der Kundin vollständig zugeteilt sei – heißt, wenn die vereinbarte Bausparsumme von 20.000 Euro erreicht ist. Dabei spiele die Zuteilungsreife keine Rolle. Die Kundin müsse weiterhin die Möglichkeit haben, ihr Darlehen in Anspruch zu nehmen, auch wenn sich das für sie bei den derzeitigen Zinsen nicht rechne. Die im Vertrag vereinbarten Darlehenszinsen betrugen fünf Prozent. Derzeit liegen Baudarlehenszinsen bei rund zwei Prozent der Darlehenssumme.

Neben dem Sonderkündigungsrecht berief sich die Bausparkasse „Wüstenrot” auf das gesetzliche Vertragskündigungsrecht. Die Kundin hatte die monatlichen Sparraten 1993 eingestellt. Das war vertragswidrig und führte dazu, dass der Vertrag länger als nötig bestand. Doch auch da entschied das Gericht zugunsten der Kundin. Die Bausparkasse hätte die Überlänge des Vertrags leicht verhindern können, indem sie die Kundin gemahnt hätte, die Zahlungen fortzusetzen. Weil sie aber das Ruhen des Vertrages erlaubt habe, sei die Kasse nicht schutzbedürftig und könne sich später nicht auf das Kündigungsrecht berufen.

Was bedeutet das Urteil für die Bausparer?

In Deutschland gibt es rund 200.000 Kunden, denen in den vergangenen Monaten alte, hochverzinste Bausparverträge gekündigt wurden. Diese Menschen haben durch das Stuttgarter Urteil ein starkes Argument gegen die Kündigungen durch die Kassen an die Hand bekommen. Wer trotz Kündigung am alten Bausparvertrag festhalten möchte, sollte in jedem Fall der Kündigung schriftlich widersprechen. Beharrt die Bausparkasse weiterhin auf der Kündigung, kann ein Anwalt weiterhelfen. Auch für mögliche Gerichtsverfahren ist das Urteil des OLG Stuttgart eine Orientierungshilfe – zumal viele der Sparkassen in den vergangenen Jahren Bausparverträge aktiv als Geldanlageprodukte beworben haben, die man unabhängig vom eigentlichen Bauvorhaben abschließen konnte.

Wichtig: Das Urteil begünstigt nicht grundsätzlich alle Kunden, denen der hochverzinste Bausparvertrag gekündigt wurde, sondern nur jene, deren Vertrag zwar zuteilungsreif, aber noch nicht voll bespart ist. Bei Bausparverträgen, deren vereinbarte Sparsumme erreicht ist, ist die von den Kassen ausgesprochene Kündigung meistens rechtens. So haben mehrere Gerichte entschieden, zum Beispiel das OLG Frankfurt im Jahr 2013 (Aktenteichen: 19 U 106/13) und das OLG Stuttgart im Beschluss vom 14. Oktober 2011 (Aktenzeichen: 9 U 151/11).